Ruth Winkelmann. Eine Geschichte von Trauer, Hoffnung und Leid

Anlässlich des 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs besuchte Ruth Winkelmann am 6. und 12. Mai 2025 das Lilienthal-Gymnasium, um aus ihrem bewegenden Leben zu erzählen. Dieser Artikel thematisiert die Begegnung und beleuchtet das Leben von Ruth Winkelmann, einer Holocaustüberlebenden jüdisch-christlicher Abstammung, näher. Sie teilt ihre eindrucksvollen Erlebnisse aus der NS-Zeit und ihre unerschütterliche Hoffnung, die sie trotz unvorstellbarer Grausamkeiten nie verloren hat.

Ruth Winkelmann ist eine Frau, die als Holocaustüberlebende jüdisch-christlicher Abstammung viel erlebt hat: viel Leid, viel Grausamkeit und auch viel Angst. Trotz all dieser Erlebnisse und Erfahrungen verschließt sich Frau Winkelmann nicht. Sie erzählt ihre Geschichte, um auf die grausame NS-Zeit aufmerksam zu machen und an das Leid zu erinnern, das Millionen Menschen erleben mussten.

Heute ist Frau Winkelmann 96 Jahre alt und trotz ihres hohen Alters besucht sie noch regelmäßig Schulen und andere Veranstaltungen, um aus ihrem ereignisreichen Leben zu erzählen. Anlässlich des 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 2025 besuchte sie am 6. und 12. Mai 2025 auch das Lilienthal-Gymnasium. In der Jubiläumswoche zum Bestehen des Grundgesetzes wird Frau Winkelmann am 20. Mai 2025 noch einmal zu uns an die Schule kommen.

Frau Winkelmann ist eine der wenigen verbleibenden Zeitzeugen, die über das Grauen der NS-Zeit berichten können, weshalb es umso wertvoller ist, dass sie ihre Geschichte mit uns teilt. Als Redakteur des Flugblattes hatte ich die große Ehre, diesem Besuch beizuwohnen, der von Frau Kramer und Frau Dr. Kirchner organisiert wurde und an dem auch viele Schüler und Schülerinnen verschiedener Jahrgangsstufen teilnehmen durften.

Im Folgenden werde ich meine Eindrücke, aber auch die Geschichte von Frau Winkelmann teilen, die geprägt ist von Angst, aber auch Hoffnung.

Ruth Winkelmann, geboren am 8. September 1928, ist Tochter einer Mutter christlichen Glaubens und eines Vaters jüdischen Glaubens. Ihre Großeltern beschrieb sie selbst als „typisch preußisch“: stets korrekt, loyal und folgsam. In ihrer Familie wurden ihr Werte wie Ehrlichkeit, Offenheit und Fleiß vermittelt, die sie bis heute vertritt. Ihre Eltern heirateten 1927 und erzogen Frau Winkelmann in jüdischem, nicht orthodoxem Glauben. Sie zelebrierten religiöse Feiertage, die sie besonders gut in Erinnerung hat. Andere Traditionen aus dem christlichen Glauben flossen auch in ihr Leben ein und sie wurde zu einer weltoffenen Person.

Doch ihr Leben und das ihrer ganzen Familie änderte sich drastisch mit dem Erstarken und letztendlich der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Ihr Alltag verschlechterte sich nach und nach. Schon mit 13 Jahren musste sie 12 Stunden am Tag und sechs Tage in der Woche Zwangsarbeit leisten und mehrere harte Schicksalsschläge trafen sie. Ihre Eltern wurden zwangsgeschieden, da Menschen jüdischen Glaubens mit Menschen christlichen Glaubens nicht verheiratet sein durften. Nicht nur das, auch ihre Schwester und weitere Familienmitglieder starben und Frau Winkelmann selbst litt unter der ständigen Angst, entdeckt und getötet zu werden. Mit eigenen Worten beschrieb sie, dass sie im Alltag „zur Seite geschoben“ wurden, obwohl sogar ihre jüdisch-gläubigen Verwandten im 1. Weltkrieg für Deutschland gekämpft hatten.

Die Unterdrückung zwang ihre Verwandten, das Grundstück in Familienbesitz zu verkaufen. Je weiter die NSDAP an Einfluss gewann, desto mehr wurden sie zu „Menschen dritter Klasse“, ohne Rechte, Anerkennung, Respekt und in allem benachteiligt.

Der Krieg schritt voran und so wurde ihre Versorgungslage zunehmend schlechter. Anspruch auf Lebensmittel hatte die Familie nicht und so war jede Hilfe und jedes Stück Brot in dieser Zeit Gold wert.

Was auch Gold wert war, war die Hoffnung, die Ruth Winkelmann nie verloren hat: die Hoffnung, die ihr die Natur, der Wald und vor allem ihre Mutter gaben. „Ihr Leben ist die Natur“, so beschrieb Frau Winkelmann ihre Beziehung mit dieser. Sie verbrachte viel Zeit im Wald und konnte dort abseits von anderen ihren Gedanken und Träumen nachhängen. Doch nicht nur die Natur half ihr. Es waren auch Menschen, die ihr Unterschlupf oder Nahrung anboten und so letztendlich ihr Überleben sicherten. Wäre zum Beispiel Herr Lindemann, ein Krankenkassenbeamter, nicht gewesen, so hätten sie und ihre Familie keinen Schutz in einer Laube und nahegelegenen Bunkern gefunden. Alle diese kleinen, aber doch so bedeutsamen Momente halfen ihr, der schier unaufhaltsamen Maschinerie des Todes zu entkommen. Das Kriegsende sollte eine bessere Zeit verheißen, doch erst nach langer Zeit und durch die Hilfe ihres Sohnes ging Frau Winkelmann den Schritt, ihre Erlebnisse durch Reden und Schreiben zu verarbeiten. In ihrem Buch „Plötzlich hieß ich Sarah“ schildert sie detailliert und bewegend ihre Geschichte.

Zur packenden Lebensgeschichte von Frau Winkelmann möchte ich auch meinen persönlichen Eindruck von der Begegnung mit ihr schildern.

Der Vortrag war nicht nur sehr informativ, sondern auch sehr bewegend. Es ist unglaublich wichtig, die wenigen verbleibenden Stimmen jener zu hören, die den Nationalsozialismus miterlebt haben. Besonders angesichts der heutigen politischen Lage und dem weltweiten Erstarken der rechten Kräfte muss an Geschichten wie die von Frau Winkelmann erinnert werden. Die bekannte Zeitzeugin Margot Friedländer, die vor kurzem im Alter von 103 Jahren verstorben ist, appellierte mit den Worten „Seid Menschen“ an uns. Ein Aufruf, Menschlichkeit und Moral aufrecht zu erhalten.

Daher möchte ich diesen Artikel auch mit einem Appell von Frau Winkelmann schließen, nämlich auch in Zeiten wie diesen Werte wie Menschlichkeit, Akzeptanz, Offenheit und Freundlichkeit zu bewahren. Denn letztendlich „sind wir alle Menschen“…

Tobias Neuhaus, 10.4

Nach oben scrollen