Ethische Probleme am Lebensanfang: Exkursion in eine Kinderwunsch-Praxis

Am 20.11.2019 kam der Wahlpflichtkurs Philosophie (10. Jahrgang) zu ungewöhnlicher Zeit an einem ungewöhnlichen Lernort zusammen: Um 17 Uhr trafen sich die 13 Schüler*innen und ihre Lehrerin Frau Trauboth in der Praxis für Fertilität an der Friedrichstraße 150, um mit der Frauenärztin Frau Dr. Wilkening über medizinische und ethische Aspekte ihrer Arbeit zu sprechen. Diese erläuterte in Form eines Vortrags zunächst einmal, weshalb Paare ihre Praxis aufsuchen. In den meisten Fällen versuchen diese bereits über ein Jahr, schwanger zu werden. Als Hauptursachen für Unfruchtbarkeit benannte Wilkening v.a. das hohe Alter der Eltern (ab 30 Jahren nimmt die Fertilität ab), aber auch mit dem Lebenswandel in Zusammenhang stehende Ursachen wie Übergewicht oder Rauchen. Die Behandlungsmethoden, die in der Praxis angeboten werden, erklärte Frau Dr. Wilkening mithilfe anschaulicher Graphiken. In den Blick genommen wurden dabei vor allem die In-Vitro-Fertilisation (Künstliche Befruchtung) sowie die In-Vitro-Fertilisation in Kombination mit dem ICSI-Verfahren. Hier konnten die Schüler*innen ihre Kenntnisse aus dem Biologieunterricht (weiblicher Zyklus, Zellteilung usw.) einbringen und anwenden. Aus philosophischer Perspektive besonders interessant war das sich anschließende Gespräch nach dem Beginn des menschlichen Lebens. Beginnt dieses bereits ab der Verschmelzung von Eizelle und Samen, wie es Vertreter der Kirche behaupten? Oder erst ab dem dritten Tag nach der Befruchtung? Spricht man bereits vor dem Einsetzen in die Gebärmutter von Leben oder erst danach? Welche Rechte hat ein Embryo, welche ein Fötus? Frau Dr. Wilkening verwies in der Diskussion insbesondere auf die Diskrepanz, die zwischen dem strengen deutschen Embryonenschutzgesetz und der rechtlichen Handhabung der Abtreibung besteht. So dürfen beispielsweise Föten bis zur 12. Schwangerschaftswoche (bei medizinischer Indikation sogar deutlich länger) abgetrieben werden, wohingegen das Embryonenschutzgesetz die Möglichkeiten der Kinderwunschbehandlung streng reglementiert – so z.B. die Anzahl der befruchteten Eizellen pro Zyklus.

Auch über die Vor- und Nachteile des in der Praxis angebotenen Social Freezings (Einfrieren von Eizellen), das Problem der Eizellspende (die im Unterschied zur Samenspende in Deutschland verboten ist), die Rechte von Spenderkindern und verschiedene Verfahren der vorgeburtlichen Diagnostik (PID, PND) diskutierte Frau Dr. Wilkening offen mit den interessierten Schüler*innen. Sogar aktuelle und zukünftige Möglichkeiten von Human Design kamen (kritisch) zur Sprache. Im Anschluss an den Vortrag und das Gespräch durften die Schüler*innen sich noch die Räumlichkeiten der großen Praxis an der Friedrichstraße ansehen und dabei sogar einen Blick in die Labore werfen.

Das am Lilienthal Gymnasium seit dem Schuljahr 2019 angebotene Wahlpflichtfach Philosophie hat es sich zum Ziel gesetzt, Schüler*innen schon in der Sekundarstufe I einen vertieften Einblick in philosophische Fragestellungen zu ermöglichen. Insbesondere soll das Fach den Weg von der Theorie, dem philosophischen Elfenbeinturm, ins alltägliche Leben aufzeigen. Die Exkursion in das Kinderwunschzentrum ist thematisch in eine Unterrichtsreihe zur Angewandten Ethik, insbes. Medizin- und Bioethik, eingebunden.

E. Trauboth

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