Darf man Menschenleben gegeneinander aufwiegen?
Das Theaterstück „TERROR“ – eine Rezension
Darf man Menschen töten, um noch größeres Leid zu verhindern? Darf man sich gegen das Gesetz stellen, um einem vermeintlichen Unglück auszuweichen? Und wie handelt man, wenn Zivilisten zur Waffe von Terroristen werden?
Diese Fragen werden in dem Theaterstück „Terror“ von Ferdinand von Schirach kontrovers diskutiert. Die beiden Philosophie-Grundkurse der Q1 von Frau Trauboth und Frau Siebenlist waren am 12. Oktober 2018 im Deutschen Theater, um sich das Stück anzuschauen.
Die Ausgangslage: In einem Flugzeug von Berlin-Tegel nach München befinden sich 164 Menschen. Die Maschine wird von Terroristen entführt, welche direkt auf das ausverkaufte Stadion „Die Allianz Arena“ mit etwa 70.000 Menschen zusteuern. Trotz des ausdrücklichen Befehls, nicht zu schießen, entschied sich Lars Koch, Major der Luftwaffe, bewusst dagegen. Er wog ab: 164 gegen 70.000 Menschenleben. Koch handelt in dieser Extremsituation: Er schoss das Passagierflugzeug ab und tötete somit die Insassen, 164 Menschen – Männer, Frauen und Kinder.
Das Stück selbst handelt von der Gerichtsverhandlung des Angeklagten Lars Koch. Er und seine Verteidigerin müssen nun sein Vorgehen vor dem Schöffengericht erklären. „Es geht nicht anders.“, soll er gesagt haben, bevor der das Flugzeug abschoss. War sein Handeln mutig oder ein Verbrechen gegen die Menschenwürde? War es ein Zeichen gegen den Terrorismus? Wären die Passagiere nicht sowieso ein paar Minuten später tot gewesen? Vielleicht wären die 70.000 Menschen, die sich im Stadion befunden haben, gar nicht gestorben: Warum hat es niemand in Erwägung gezogen, die Allianz Arena zu evakuieren? Es gab schließlich ausreichend Zeit dafür. Vielleicht wäre es den Passagieren des entführten Flugzeugs auch gelungen, in das Cockpit zu gelangen und die Terroristen von ihrer Tat abzuhalten. Dass die Insassen der Lufthansamaschine das zumindest versucht hätten, verrät eine SMS-Nachricht, die ein Mann seiner Frau schickte. Der Mann stirbt wenige Minuten später und ob die Passagiere das Cockpit erreicht haben, konnte nicht ermittelt werden. Je mehr man über den Fall erfährt, desto zweifelhafter erscheint der Pilot als Held.
Nach und nach werden die Motive und Hintergründe von Kochs Tat dargelegt, analysiert und bewertet. Dies wird von dem düsteren und minimalistischen Bühnenbild unterstützt, welche die Stimmung, die von dem Stück ausgeht, gekonnt hervorheben. So liegt auch der Fokus verstärkt auf den Sprechakten der Figuren. Im Hintergrund werden kurze Filmsequenzen in rasender Geschwindigkeit abgespielt: Bilder vom 11. September 2001, Flugzeugwracks und Gesetzbücher fliegen über die Leinwand.
„Terror“ ist zweifellos ein spannendes Stück, welches grundlegende philosophische Fragen aufwirft: Darf man Menschenleben gegeneinander aufwiegen? Sollte man das „kleinere Übel“ dem größeren vorziehen? Darf man aufgrund einer Folgenberechnung, die nur eine Prognose ist, gegen die Würde des Menschen handeln? Gibt es in solchen Extremsituationen überhaupt die „richtige“ Entscheidung? Sollte man nicht besser Moral und Recht streng voneinander trennen? Die Situation, in der sich Koch befand, war ohne Frage ausweglos. Unabhängig von seiner Entscheidung, waren Menschenleben in Gefahr. Sowohl für als auch gegen sein Handeln werden nachvollziehbare Argumente genannt. Dabei geht es nicht wirklich um die Argumente an sich, sondern vielmehr um das moralische Dilemma, in dem sich Koch befand. Das ist auch das mitreißende an dem Stück. Man weiß nicht, was geschehen wäre, hätte Koch das Passagierflugzeug nicht abgeschossen. Aber gerade diese Unwissenheit, was wohl geschehen wäre, macht das Handeln von dem Kampfpilot besonders. Ob besonders verwerflich oder besonders mutig, darf das Publikum entscheiden.
Die Schöffen, in diesem Fall, die Zuschauer, müssen nach dem Plädoyer der Verteidigerin und Staatsanwältin nämlich selbst die Entscheidung treffen: Lars Koch – schuldig oder unschuldig? Soll er freigesprochen oder verurteilt werden? Nach einer kurzen Pause, in der die Zuschauer Zeit haben, sich zu entscheiden, verkündet die Vorsitzende des Schöffengerichts das Urteil: 167 Menschen finden, dass Koch für seine Tat schuldig gesprochen werden sollte, und 266 Menschen stimmten für den Freispruch. Somit wird Lars Koch von der Staatsanwältin freigesprochen. Zumindest für diesen Abend.
Dijana Kolak, Q1